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DIE CROSS-BORDER INJUNCTION

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IM FOKUS

Die Cross-Border Injunction als Ergebnis einer grenzüberschreitenden Patentverletzungsklage bzw. eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Patentverletzung. Unter einer in Deutschland erwirkten "Cross-Border Injunction" versteht der Patentrechtler ein Endurteil oder eine einstweilige Verfügung eines deutschen Gerichts, die einem Patentverletzer mit Wirkung für mehrere EU-Mitgliedsstaaten die Benutzung einer patentgeschützten technischen Lehre untersagt. Einer solchen grenzüberschreitenden Patentverletzungsklage liegt regelmäßig ein europäisches Patent zugrunde, das in ein Bündel identischer nationaler Patente in verschiedenen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union "zerfallen" ist. Der nachfolgende Beitrag fasst den aktuellen Stand der Dinge in Sachen "Cross-Border Injunction" zusammen und beleuchtet die praktische Bedeutung und die Hürden eines Antrags auf Erlass einer grenzüberschreitenden einstweiligen Verfügung wegen Patentverletzung.

CROSS-BORDER INJUNCTION | HISTORIE

DER ANFANG

Befeuert durch die großzügige patentrechtliche Herangehensweise der niederländischen Gerichte und die hohe Flexibilität des niederländischen Verfahrensrechts (aus eigener Erfahrung: Vor einem niederländischen Gericht erhält man auch als deutscher Patentanwalt das Wort und die Gelegenheit, unmittelbar in Englisch mit den Richtern zu kommunizieren) waren auch in Deutschland ab dem Ende der 90-er Jahre die sogen. Cross-Border Injunctions in Gestalt von Endurteilen in der Hauptsache stark im Aufwind, vgl. etwa LG Düsseldorf, Urteil vom 22. September 1998, Az. 4 O 377/95 - "Sonnenblenden".

DER RECHTLICHE ANSATZ

Der Ansatz für eine Cross-Border Injunction war in vielen Fällen recht einfach.

Wenn der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand in Deutschland hat, etwa weil es sich um einen Autozulieferer handelt, dessen Zentrale in Deutschland geschäftansässig und nachweislich auch für die europaweite Patentverletzung verantwortlich ist, dann kann er gemäß Art. 4, Abs. 1 der Brüssel Ia-Verordnung (Art. 2, Abs. 1 der früheren EuGVVO) in Deutschland wegen Verletzung aller nationalen Teile eines europäischen Patents verklagt werden.

Ein weiterer, alternativer Ansatzpunkt war der gemeinsame Gerichtsstand bei einer Streitgenossenschaft, der unter dem Schlagwort "spider in the web" insbesondere von den niederländischen Gerichten propagiert worden war:

Wenn aus dem Kreis der das patentverletzende Produkt im Rahmen eines gemeinsamen Geschäftsmodells arbeitsteilig in Europa vertreibenden Konzernunternehmen dasjenige Unternehmen in den Niederlanden ansässig ist, das die Kontrolle über dieses Geschäftsmodell inne hat, dann ist Art 6 Nr. 1 EuGVVO (heute Art. 8 Nr. 1 der Brüssel Ia-Verordnung) für alle Beteiligten anwendbar. Die in verschiedenen Ländern ansässigen Unternehmen können dann gemeinsam in den Niederlanden verklagt werden.

Dieser Ansatz ist aber zwischenzeitlich durch die EuGH-Rechtsprechung weitgehend entwertet worden, dazu an späterer Stelle.

DER WENDEPUNKT

Im Jahr 2006 erging dann die Entscheidung EuGH, 13. 7. 2006 — Rs. C-4/03 GAT./. LuK, die der Praxis der "Cross-Border Injuction" zunächst weitgehend den Wind aus den Segeln nahm.

Der EuGH hat im Rahmen dieser Entscheidung eine Hürde für die grenzüberschreitende Patentverletzungsklage entdeckt, die bis dato noch nicht im Fokus einer derartigen Gerichtsentscheidung gestanden hatte - nämlich den Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ, heute Art. 24, Abs. 4 der Brüssel Ia-Verordnung. Die Vorschrift besagt Folgendes:

 

"Für Verfahren, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten ... zum Gegenstand haben, unabhängig davon, ob die Frage im Wege der Klage oder der Einrede aufgeworfen wird, sind ausschließlich die Gerichte des Mitgliedsstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist ...."

 

Der EuGH will diese Vorschrift auch auf die Inzidentprüfung der Rechtsbeständigkeit der Klagepatente angewandt wissen - und zwar auch dann, wenn die vom Verletzungsgericht über den Rechtsbestand des jeweiligen nationalen Teils des europäischen Patents zu treffende Entscheidung nur Wirkung "inter partes" hat. Daraus folgt, dass keine gerichtliche Entscheidung über die grenzüberschreitende Patentverletzungsklage mehr ergehen kann, sobald der Verletzer für einen EU-Mitgliedsstaat außerhalb Deutschlands einwendet, dass der dortige nationale Teil des EP-Patents nicht rechtsbeständig sei.

CROSS-BORDER INJUNCTION | LONG WAY BACK TO LIFE...

DER FALL SOLVAY ./. HONEYWELL

Im Jahr 2012 ist die Möglichkeit einer Cross-Border Injunction im grenzüberschreitenden Patentverletzungsverfahren teilweise wieder aufgelebt. Den Wendepunkt markiert die Entscheidung EuGH, 12.07.2012 - Rs. C-616/10 , Solvay ./. Honeywell Europe N.V. et al.

Die Entscheidung ist auf ein Vorabentscheidungsersuchen hin ergangen, das von der Rechtbank ’s‑Gravenhage (Niederlande) eingereicht wurde.

Ihr liegt u. A. eine einstweilige Verfügung zugrunde, die die Firma Solvay SA gegen die in den Niederlanden ansässige Firma Honeywell Fluorine Products Europe BV und die beiden in Belgien ansässigen Firmen Honeywell Belgium NV und Honeywell Europe NV beantragt hatte. Begründet war der Antrag damit worden, dass alle Honeywell-Firmen ein und dasselbe Produkt vertreiben und alle Honyewell-Firmen europaweit aktiv sind, sodass sie mit ihren Aktivitäten jeweils dieselben nationalen Teile des europäischen Patents verletzen.

EINSTWEILIGE VERFÜGUNGEN SIND MÖGLICH

Für an der europaweiten Durchsetzung ihrer Patente interessierte Patentinhaber ist die Entscheidung insoweit ein Lichtblick, als der EuGH eindeutig festlegt, dass grenzüberschreitende einstweilige Verfügungen auch dann zulässig sind, wenn der Patentverletzer sich darauf beruft, dass ein oder mehrere nationale Teile des europäischen Patents nicht rechtsbeständig sind:

Art. 22 Nr. 4 der Verordnung Nr. 44/2001 (Brüssel I-Verordnung, heute Art. 24 Abs. 4 der Brüssel Ia-Verordnung) ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen, wie denen des Ausgangsverfahrens, der Anwendung von Art. 31 dieser Verordnung nicht entgegensteht.

Wie der EuGH richtig ausführt, findet im Rahmen der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nur eine vorläufige Prüfung der Rechtsbeständigkeit der nationalen Teile des europäischen Patents statt. Diese vorläufige Prüfung greift der den durch Art. 24, Abs. 4 der Brüssel Ia-Verordnung den einzelnen Mitgliedsstatten vorbehaltenen Entscheidung über die Rechtsbeständigkeit des jeweiligen nationalen Teils des europäischen Patents nicht vor. Daher steht Art. 24, Abs. 4 der Brüssel Ia-Verordnung dem Erlass einer Cross-Border Injunction nicht entgegen.

Leider bleibt der Weg zu grenzüberschreitenden Urteilen in der Hauptsache einstweilen auch weiterhin versperrt.  

DIE ZUSTÄNDIGKEIT IST EIN NADELÖHR

Alle Patentverletzer müssen den gleichen nationalen Teil verletzen

Auch zur Frage der gerichtlichen Zuständigkeit im Rahmen des Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 äußert sich der EuGH in der Entscheidung Solvay ./. Honeywell nochmals.

Diese Vorschrift war von jeher ein zentraler Pfeiler bei der Erwirkung von Cross-Border Injunctions. Sie lautet bekanntlich wie folgt:

Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat, kann auch verklagt werden:

1. Wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten.

Der EuGH hat nochmals unterstrichen, dass die erforderliche "enge Beziehung" nur dann gegeben ist, wenn die mit der einstweiligen Verfügung in Anspruch genommenen Antragsgegner nicht nur europaweit die gleichen Produkte verkaufen, sondern darüber hinaus wegen der Verletzung der gleichen nationalen Teile des europäischen Patents in Anspruch genommen werden. Der EuGH betont, dass die Anwendung des Art. 6 Nr. 1 einen Ausnahmefall darstellen soll, weshalb eine restriktive Handhabung geboten sei.

Der Vorwurf, die in Deutschland ansässige Vertriebstochter verletzte mit den von der Muttergesellschaft bezogenen Produkten den deutschen Teil des europäischen Patents, während die in Frankreich ansässige Muttergesellschaft mit den von ihr in Frankreich hergestellten und von dort aus in "Rest-Europa" vertriebenen Produkten auch alle anderen nationalen Teile des europäischen Patents verletze, reicht also eindeutig nicht aus, um die Vertriebstochter und die Muttergesellschaft gemeinsam vor einem deutschen Gericht mit einer einstweiligen Verfügung belangen zu können, soweit diese über die Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents hinausgeht.

Dieser - im Rahmen der rechtlichen Gegebenheiten sicher richtige - Ansatz blendet natürlich a priori einen guten Teil der Fälle aus, in denen eine Cross-Border Injunction eigentlich sehr attraktiv wäre.


The spider is not in the web anymore

Eine weitere Beschränkung für die Praxis ergibt sich daraus, dass nach wie vor kein wirklicher Freiraum mehr für die Anwendung der seinerzeit von den niederländischen Gerichten entwickelte "Spider-in-the-Web Doktrin" besteht.

Im Rahmen dieser "Spider-in-the-Web Doktrin" hatten niederländische Gerichte sinngemäß befunden, dass die von Art. 6 Nr. 1 geforderte "enge Beziehung" schon dann zu bejahen sein soll, wenn

  • die in unterschiedlichen Ländern ansässigen Firmen im Rahmen einer abgestimmten "business policy" den Vertrieb in den Ländern organisieren, für die die Verletzung der nationalen Teile des europäischen Patents geltend gemacht wird,
  • und die Firma, die den entscheidenden Einfluss auf die "gemeinsame business policy" inne hat, in den Niederlanden ansässig ist.

 

Unter diesen Umständen sollten die niederländische Drahtzieherin (die in ihrer Eigenschaft als "spider in the web" die gemeinsamen Vertriebsaktivitäten steuert) und die anderen zum Vertrieb beitragenden Gesellschaften anderer Länder auch dann gemeinsam vor einem holländischen Gericht in Anspruch genommen werden können, wenn die "niederländische Drahtzieherin" nur den nationalen Teil des europäischen Patents im Land A verletzt, während die anderen Gesellschaften nur die nationalen Teile des europäischen Patents in den Ländern B, C und D verletzen.

In ihrer "Reinkultur" ist die "Spider-in-the-Web Doktrin" nach deutschem Rechtsverständnis nach wie vor nicht mehr anwendbar.

In verschiedenen Ländern ansässige Gesellschaften können bis heute nur dann gemeinsam in einem Land wegen Verletzung eines europäischen Patents in Anspruch genommen werden, wenn eine reale Gefahr widersprechender Entscheidungen besteht, d. h. wenn den Gesellschaften die Verletzung des oder der gleichen nationalen Teile ein und desselben europäischen Patents vorgeworfen wird. Nur dann besteht die von Art. 8, Nr. 1 der Brüssel Ia-Verordnung geforderte "enge Beziehung".

CROSS-BORDER INJUNCTION | HEUTIGE PRAXIS

ÜBERWINDUNG DES NADELÖHRS "ZUSTÄNDIGKEIT"

Das Vorgehen gegen einen einzigen, grenzüberschreitend aktiven Patentverletzer

Der unter dem Gesichtspunkt der Zuständigkeit einfachste Fall ist der, dass ein in Deutschland ansässiges Unternehmen wegen der von ihm selbst in unterschiedlichen (vom Patentinhaber durch ein europäisches Bündelpatent abgedeckten) Ländern begangenen Patentverletzungen mit einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden soll. Hier kann sich der Patentinhaber zur Begründung der Zuständigkeit unschwer auf Art. , Abs. 1 der Brüssel Ia-Verordnung stützen.

Wirtschaftlich sehr interessant dürfte dieser Fall einer "Cross-Border Injunction" indes meist nur dann sein, wenn das in Deutschland ansässige Unternehmen in eigener Regie ausländische Produktionsstätten betreibt und die reale Gefahr besteht, dass diese ihren Vertrieb notfalls auch vor Ort eigenständig organisieren können. Denn wenn die Patentverletzungen im europäischen Ausland ausschließlich durch die deutsche Produktion und/oder die von Deutschland aus organisierten Importe in die Europäische Union gespeist werden, dann lassen sie sich oft fast genauso effektiv mit einem rein innerdeutschen Vorgehen unterbinden, das "die deutsche Quelle" zum Versiegen bringt.

Dieser Gesichtspunkt ist unbedingt auch im Rahmen der Glaubhaftmachung, dass die nötige Dringlichkeit auch in Bezug auf die Verletzung der ausländischen Teile des europäischen Patents besteht, zu beachten - für das Gericht liegt die Annahme nicht fern, dass die Dringlichkeit womöglich bereits durch das Verstopfen der "deutschen Quelle" entfällt.

 

Das Vorgehen gegen mehrere Patentverletzer bei nachweislicher Mittäterschaft

Wenn mehrere und in unterschiedlichen Ländern ansässige Gesellschaften belangt werden sollen, von denen eine dem deutschen Gerichtsstand unterliegt, dann muss zur Begründung des gemeinsamen Gerichtsstands mit Hilfe von Art. 8, Abs. 1 der Brüssel Ia-Verodnung glaubhaft gemacht werden, dass alle Gesellschaften wegen der Verletzung desselben oder derselben nationalen Teile des europäischen Patents zu belangen sind.

Der unter diesem Gesichtspunkt simpelste Fall ist fraglos der, dass sich nachweisen lässt, dass z. B. die französische Gesellschaft die patentverletzenden Produkte, mit denen sie den französischen Teil des europäischen Patents verletzt, von der in Deutschland produzierenden Gesellschaft geliefert bekommt. Beide Gesellschaften sind dann für die Patentverletzung in Frankreich verantwortlich.

Auch hier stellt sich aber wieder die bereits oben angespochene Frage, ob sich die französischen Patentverletzungen nicht fast genauso effektiv dadurch bekämpfen lassen, dass die deutsche "Quelle" zum Versiegen gebracht wird. Zudem hat man sich auch in diesem Fall vertiefte Gedanken über das Thema "Dringlichkeit" zu machen.

Sodann lässt sich die Zuständigkeit auf der Grundlage von Art. 8, Abs. 1 der Brüssel Ia-Verordnung begründen, wenn sich beweisen lässt, dass die Gesellschaften einen gemeinsamen Tatplan verfolgen, im Rahmen dessen jede Gesellschaft auch Tatherrschaft inne hat - der Begriff "Tatplan" hat hierbei seine enge strafrechtliche Bedeutung:

Zur Veranschaulichung kann kurzerhand auf das zwar abgegriffene, aber passende strafrechtliche Lehrbuchbeispiel des Banküberfalls zurückgegriffen werden, bei dem ein Täter die Alarmanlage deaktiviert, ein anderer Täter das Personal bedroht, ein dritter Täter die Kasse plündert und der vierte Mann das Fluchtfahrzeug bereithält und fährt. In einer solchen Situation werden jedem der Mittäter die Tatbeiträge der anderen Mittäter zugerechnet, sodass sich der vierte Mann nicht darauf hinausreden kann, er sei kein Bankräuber, sondern nur "der Fahrer". Nicht anders liegen die Dinge im Patentrecht. Es leuchtet indes ein, dass ein solcher Nachweis oft schwer zu führen ist.

 

Das Vorgehen gegen mehrere Patentverletzer bei "Garantenpflicht" der Konzernmutter

Eine weitere Konstellation, bei der Art. , Abs. 1 der Brüssel Ia-Verordnung greifen kann, ist schließlich die, dass sich das deutsche beherrschende Konzern-Unternehmen ausnahmsweise zumindest als Störerin dafür verantwortlich machen lässt, dass z. B. die für den Benelux-Raum zuständige französische Vertriebs-Tochter den französischen und den niederländischen Teil des europäischen Patents verletzt.

Die Tatsache, dass auch diese Konstellation oft nur sehr schwer stichhaltig zu beweisen ist, liegt auf der Hand. Dem beherrschenden Konzern-Unternehmen muss die Kenntnis der Patentverletzung, die rechtliche Beherrschungsmöglichkeit und auch eine Garantenpflicht nachgewiesen werden, die es dem beherrschenden Unternehmen verbot, in Kenntnis der Patentverletzung untätig zu bleiben, und stattdessen dazu zwang, aktiv zu werden und die Patentverletzung abzustellen.

EINSTWEILIGE VERFÜGUNG | PRAKTISCHE HÜRDEN

Grundsätzlich sind auch bei der Erwirkung einer "Cross-Border Injuntion" die gleichen Hürden zu nehmen wie die, die der Patentinhaber zu meistern hat, wenn er rein innerdeutsch erfolgreich eine einstweilige Verfügung gegen einen Patentverletzer erwirken will:

  • Der Verletzungssachverhalt muss für eine hinreichende Glaubhaftmachung geeignet sein - komplizierte Sachverhalte, in denen sich nur mittels eines Gutachters feststellen lässt, ob wirklich eine Verletzung vorliegt, sind ungeeignet.
  • Die Rechtsbeständigkeit des Patents oder Gebrauchsmusters, auf das der Verfügungsanspruch gestützt wird, muss über vernünftige Zweifel erhaben sein.

 

Wichtig ist, zu bedenken, dass im Rahmen des Antrags auf Erlass einer grenzüberschreitenden einstweiligen Verfügung wegen Patentverletzung auch die Tatsache glaubhaft gemacht werden muss, dass nach dem betreffenden ausländischen Recht eine Patentverletzung vorliegt, d. h. das ausländische Recht muss als solches glaubhaft gemacht werden.

Aufgrund dessen gewinnt der erste der beiden vorgenannten "bulletpoints" bei der Beantragung einer Cross-Border Injunction erhöhte Bedeutung:

Sachverhalte, bei denen es für die Frage nach der Patentverletzung darauf ankommt, ob sich auch unter ausländischem Recht eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln bejahen lässt, werfen oft so starke praktische Probleme bei der Glaubhaftmachung auf, dass sie nicht für eine einstweilige Verfügung geeignet sind.

Zudem führt diese Tatsache dazu, dass bei der Beantragung einer grenzüberschreitenden einstweiligen Verfügung wegen Patentverletzung ein extrem gutes "Zeitmanagement" erforderlich ist. Denn man kann sich auch bei Anrufung der erfahrenen Patentstreitkammern in Düsseldorf, Mannheim oder München (verständlicherweise) nicht darauf verlassen, dass das ausländische Patentrecht und seine Anwendung derart präsentes Wissen der jeweilgen Richterbank ist, dass sich die diesbezügliche Glaubhaftmachung erübrigt. Daher sind die erforderlichen Glaubhaftmachungsmittel in Gestalt von Gutachten renommierter Auslandskollegen, die den national-rechtlichen Rahmen erläutern und die Patentverletzung unter nationalem Recht bestätigen, tunlichst noch vor Ablauf der Dringlichkeitsfrist zu beschaffen.

Wo der Patentinhaber wirklich dringend auf eine einstweilige Verfügung angewiesen ist, empfiehlt es sich, angesichts dessen eine "Brandschutzmauer" einzuziehen, um ärgerliche Verzögerungen zu vermeiden:

Man nimmt die erhöhten Kosten in Kauf und stellt zwei völlig separate Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Mit dem ersten Antrag wird der Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen der Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents begehrt. Der zweite, unabhängig geltend gemachte Antrag ist auf Erlass der grenzüberschreitenden einstweiligen Verfügung wegen der Verletzung der ausländischen nationalen Teile des europäischen Patents gerichtet.

KONSEQUENZEN AUS § 926 ZPO

Abschließend ist die Frage der Erörterung wert, ob sich vielleicht aus § 926 ZPO hinderliche Konsequenzen für eine grenzüberschreitende einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung ergeben.

§ 926 ZPO sieht sinngemäß vor, dass die einstweilige Verfügung aufzuheben ist, wenn das Gericht auf Antrag des Antragsgegners eine Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage gesetzt hat und diese Frist ergebnislos verstrichen ist.

Wie oben erläutert, ist eine wegen grenzüberschreitender Patentverletzung, d. h. wegen der Verletzung ausländischer nationaler Teile des europäischen Patents in Deutschland erhobene Hauptsacheklage zum Scheitern verurteilt, sobald der Patentverletzer behauptet, die ausländischen nationalen Teile seien nicht rechtsbeständig. Das bedeutet in der Konsequenz, dass der Patentinhaber vor einem deutschen Gericht keine erfolgversprechende Hauptsacheklage erheben kann, die inhaltlich "1:1" dem Verfügungsantrag entspricht.

Hieraus folgt aber nicht etwa, dass auch ein (zunächst erfolgreicher) Antrag auf Erlass einer grenzüberschreitenden einstweiligen Verfügung später automatisch zum Scheitern verurteilt ist. Denn § 926 ZPO fordert nicht zwingend ein deutsches Hauptsacheverfahren. Vielmehr genügt auch ein im Ausland anhängig gemachtes Hauptsacheverfahren, wenn dessen Ergebnis im Inland anzuerkennen ist, vgl. Cepl / Voß, Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz, 1. Auflage 2016, § 926 ZPO, Rn. 8 m. w. N..

Dennoch wird an dieser Stelle eine weitere praktische Schwäche der heute möglichen Cross-Border Injunction in Gestalt einer grenzüberschreitenden einstweiligen Verfügung wegen Patentverletzung sichtbar:

Wenn der oder die Patentverletzer den Erlass der grenzüberschreitenden einstweiligen Verfügung nicht zum Anlass nehmen, um eine entsprechende Abschlusserklärung abzugeben, dann verselbstständigt sich die Sache - der Patentinhaber muss dann doch vor den nationalen Gerichten der Staaten Hauptsacheklage erheben, in denen die als verletzt geltend gemachten nationalen Teile des europäischen Patents bestehen.

CROSS-BORDER INJUNCTION | BLICK IN DIE ZUKUNFT

Die Inbetriebnahme der Gerichtsbarkeit für das Gemeinschaftspatent wird - evtl. mit etwas Zeitverzug wegen der Opt-Out-Option - auch die Situation im Hinblick auf die Cross-Border Injunction ändern:

Das europäische Patent kann dann vor einer Gerichtsbarkeit geltend gemacht werden, die auch gemeinschaftsweit über die Rechtsbeständigkeit der nationalen Teile des europäischen Patents zu urteilen befugt sein wird. Damit wird dem Patentverletzer der die Blockade garantierende "Bremskeil" - in Gestalt des Einwandes, "die einzelnen nationalen Teile sind ja gar nicht rechtsbeständig" - entzogen sein.

 

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