DIE UNTERLASSUNGSERKLÄRUNG KÜNDIGEN
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IM FOKUS
Im Fokus steht hier die Kündigung der Unterlassungserklärung, genauer gesagt die Kündigung des durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zustande gekommenen Unterlassungsvertrages. Dabei ist es gleichgültig, ob man „das Kind“ strafbewehrte Unterlassungserklärung, Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung oder Unterlassungsvertrag nennt. Die Frage nach der Kündigung oder sonstigen Beendigung ist oft von entscheidender praktischer Bedeutung. Allerdings kann eine Unterlassungserklärung nur im Ausnahmefall gekündigt oder anderweitig beendet werden. ► Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick, unter welchen Voraussetzungen eine Unterlassungserklärung bzw. der aus ihr hervorgegangene Unterlassungsvertrag gekündigt oder anderweitig beseitigt werden kann.
DAS WICHTIGSTE ZUERST
Die Ausgangssituation, in der sich die Frage nach der Kündigung der Unterlassungserklärung durch den Unterlassungsschuldner stellt, ist meist ähnlich:
- Entweder hat der Unterlassungsschuldner gegen die Unterlassungsverpflichtung verstoßen und soll nun die Vertragsstrafe zahlen
- oder der Unterlassungsschuldner hat erkannt, dass die Unterlassungserklärung viel zu weit gefasst war und ihn daher nun auch bei einem geplanten Verhalten behindert, das eigentlich rechtmäßig ist.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass gerade kleinere Unternehmen aus Kostengründen nicht selten dazu neigen, die vom Abmahner geforderte Unterlassungserklärung ohne hinreichende Prüfung zu unterschreiben, und dann später vor dem Problem stehen, wie die zu eng angelegten Ketten gesprengt werden können.
Als Faustformel gilt allerdings, dass sich eine strafbewehrte Unterlassungserklärung bzw. ein dadurch zustande gekommener Unterlassungsvertrag nur beenden lässt, wenn sich
- entweder die höchstrichterliche Rechtsprechung bzw. die maßgeblichen Gesetzesvorschriften geändert haben,
- oder wenn sich nachweisen lässt, dass sich der Abmahnende „unsauber“ verhalten hat und die Unterlassungserklärung nur deswegen abgegeben wurde..
In der Praxis bedeutet das, dass der geplanten Kündigung oder sonstigen Beendigung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung im Regelfall umfangreiche anwaltliche Recherchen vorangehen. Diese Recherchen haben das Ziel, einen belastbaren Beweis dafür an die Hand zu bekommen, dass der Abmahnende durch eine Täuschung zur Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung veranlasst hat.
Solche Täuschungen kommen nicht häufig vor. Ab und an lassen sie sich aber doch nachweisen:
Im Wettbewerbsrecht wird manchmal über die Abmahnbefugnis getäuscht – in dem Bestreben, mit Abmahnungen vermeintlicher Konkurrenten Geld zu verdienen, wird schon einmal ein „Fake-Shop“ errichtet, um das Konkurrenzverhältnis herzustellen, das zur Abmahnung berechtigt. Ansonsten kommt es gelegentlich vor, dass von einem kleinen, wirtschaftlich sehr schwachen Händler „in großem Stil“ abgemahnt und dabei ausnahmsweise zu Unrecht der Eindruck erweckt wird, dass jede Abmahnung einen Anspruch auf Erstattung der anwaltlichen Abmahnkosten entstehen lässt. Auch das kann für die spätere Kündigung bzw. Beendigung einer voreilig abgegebenen Unterlassungserklärung relevant sein.
Im Patentrecht bzw. im Gebrauchsmusterrecht erliegen Abmahner gelegentlich der Versuchung, zu verschwiegen, dass dem abmahnenden Rechtsinhaber aus anderem Zusammenhang längst „tödlicher“ Stand der Technik bekannt ist, der das Patent oder Gebrauchsmuster und die darauf aufbauende Abmahnung eigentlich hinfällig macht. Sinngemäß Gleiches gilt für das Design- und Geschmacksmusterrecht, nur dass der „Stand der Technik“ dort „vorbekannter Formenschatz“ heißt, was aber letztendlich nur ein verbaler Unterschied ist.
Im Markenrecht wird bei der Abmahnung eines anderen, der ein ähnliches Zeichen verwendet, gelegentlich verschwiegen, dass gegen die Marke, auf die die Abmahnung gestützt wird, längst ein Angriff eines Dritten läuft, der versucht, die Marke zu beseitigen. Auch das kann im Ausnahmefall eventuell dazu berechtigen, eine schon abgegebene Unterlassungserklärung bzw. den dadurch zustande gekommenen Unterlassungsvertrag zu kündigen.
DIE ANFECHTUNG DER UNTERLASSUNGSERKLÄRUNG
Die Anfechtung wegen Irrtums
Der Gedanke, die voreilig abgegebene strafbewehrte Unterlassungserklärung anzufechten, liegt gerade bei der strafbewehrten Unterlassungserklärung nahe, wenn die durch einen angeblichen Verstoß angefallene Vertragsstrafe eingefordert wird. Denn mit einer Anfechtung lässt sich nachträglich und rückwirkend der Zustand herstellen, als sei niemals eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben worden. Wo "nie" eine strafbewehrte Unterlassungserklärung existiert hat, kann auch keine Vertragsstrafe fällig geworden sein.
Der Möglichkeit, die Unterlassungserklärung durch Anfechtung zu „kassieren“, sind allerdings enge Grenzen gesetzt:
Zwar kann nach § 119 Abs. 1 BGB derjenige, der bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.
Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der „Sache“, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.
Vor diesem Hintergrund ist daran zu denken, dass der Unterlassungsschuldner seine Unterlassungserklärung mit der Begründung anficht, dass das beanstandete Verhalten, dessen Wiederholung die strafbewehrte Unterlassungserklärung verbietet, gar nicht rechtswidrig sei. Das habe er bei der Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung nicht gewusst. Daher habe er die strafbewehrte Unterlassungserklärung irrtümlich abgegeben.
Dieser Gedanke ist verständlich. Ihm wird aber von der Rechtsprechung eine Absage erteilt. Insoweit wird beispielsweise auf die Entscheidung des OLG Hamm vom 22.3.2012 verwiesen, die unter dem Aktenzeichen I-4 U 194/11 ergangen ist. Das OLG Hamm bringt die Rechtslage wie folgt auf den Punkt:
Die irrige Annahme, wettbewerbswidrig gehandelt und infolgedessen aufgrund des § 8 Abs. 1 UWG zur Unterlassung verpflichtet zu sein, stellt lediglich einen Irrtum im Beweggrund dar. Ein solcher Motivirrtum ist regelmäßig unbeachtlich (Harte/Henning-Brüning, 2. Aufl., § 12 UWG Rn. 155; Palandt-Ellenberger, 71. Aufl., § 119 BGB Rn. 29).
Anfechtung wegen Täuschung
Die von § 123 BGB vorgesehene Möglichkeit einer Anfechtung der strafbewehrten Unterlassungserklärung wegen arglistiger Täuschung kann im Einzelfall mehr Erfolg versprechen.
Allerdings sollte dabei nicht übersehen werden, dass der vom Anfechtenden zu erbringende Nachweis, dass es im Vorfeld der Abgabe der Unterlassungserklärung zu einer Täuschung gekommen ist und dabei auch Arglist im Spiel war, eine ausgesprochen hohe Hürde darstellt. Auch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist daher ein Ausnahmefall.
FIKTIVES PRAXISBEISPIEL
Nehmen wir an, ein deutsches Gebrauchsmuster DE 20 2017 123456 beansprucht Schutz für ein Brillengestell aus Holz, an dem die Bügel mit einem speziell gestalteten Beschlag bruchsicher befestigt sind und das beispielsweise so aussieht, das wie in meinem Musterbeispiel für eine Unterlassungserklärung beschrieben ist.
Eine Brillenmanufaktur hat auf einer Messe ein Brillengestell mit dem beanspruchten Beschlag ausgestellt. Der Inhaber der Brillenmanufaktur wurde daraufhin noch auf der Messe abgemahnt. Unter dem Druck der unerwarteten Ereignisse hat sich der Inhaber der Brillenmanufaktur dazu hinreißen lassen, noch auf der Messe eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, mit der er sich verpflichtet, künftig keinen Gebrauch von der gesamten technischen Lehre des Gebrauchsmusters DE 20 2017 123456 mehr zu machen.
Kurze Zeit später möchte die Brillenmanufaktur die Holzbrille mit einem umkonstruierten Beschlag zur Bügelbefestigung auf den Markt bringen. Die bei dieser Gelegenheit in Anspruch genommene anwaltliche Beratung führt zu zweierlei Erkenntnis:
- Das neue, umkonstruierte Federscharnier verstößt eventuell immer noch gegen das sehr weit gefasste Gebrauchsmuster. Dadurch besteht die Gefahr, mit der Verwendung des neuen Federscharniers dauerhaft gegen die strafbewehrte Unterlassungserklärung zu verstoßen - was im Worst Case nach geraumer Zeit eine katastrophal hohe Vertragsstrafe anfallen lässt.
- Der Inhaber des Gebrauchsmusters hatte bei seiner Abmahnung, im Zuge derer es zu der Abgabe der von ihm verlangten strafbewehrten Unterlassungserklärung gekommen ist, verschwiegen, dass das Europäische Patentamt für die inhaltsgleiche, unter Inanspruchnahme der Priorität des Gebrauchsmusters eingereichte europäische Patentanmeldung vernichtenden Stand der Technik recherchiert hat – Stand der Technik, der eine fast identische Lösung zeigt, sodass das Gebrauchsmuster zumindest nur in sehr eingeschränkter Form rechtsbeständig sein kann, weshalb die seinerzeit angeforderte und so auch abgegebene Unterlassungserklärung viel zu weit gefasst ist.
Damit stellt sich die Frage nach einer rückwirkenden Anfechtung. Dies deshalb, weil das alternativ anzustrengende Gebrauchsmusterlöschungsverfahren, das im Erfolgsfall anschließend zur Kündigung der Unterlassungserklärung berechtigt, mitunter jahrelang dauern kann.
Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist im vorliegenden Fall eine Option, wenn seit der Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung weniger als ein Jahr vergangen ist (§ 124 BGB) und wenn
- sich entweder in der Abmahnung bzw. der anschließenden Korrespondenz, die zu der Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung geführt hat, eine Aussage zur angeblichen Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters findet, die man als Verschleierung, d. h. als vorsätzlich täuschendes Verhalten, ansehen kann,
- oder sich zumindest darlegen lässt, dass im konkreten Einzelfall die Verpflichtung bestanden hätte, wesentliche Informationen, beispielsweise die Kenntnis von hochrelevantem Stand der Technik, der das Gebrauchsmuster fragwürdig macht, aufzudecken, sodass ausnahmsweise von einem Täuschen durch Unterlassen gesprochen werden kann – immerhin wird verlangt, dass der Inhaber eines ungeprüften Gebrauchsmusters vor der Abmahnung aus dem Gebrauchsmuster eine Prüfung von dessen Schutzfähigkeit durchführt, vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. A. 2011, Rn. 603.
Es dürfte ohne weiteres einleuchten, dass über die genannten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Irrtumsanfechtung ausgesprochen kontrovers diskutiert werden kann, sodass für eine erfolgreiche Irrtumsanfechtung in solchen Fällen umfangreiche anwaltliche Erfahrung unerlässlich ist.
GEGENANSPRUCH AUF AUFHEBUNG DES UNTERLASSUNGSVERTRAGES
Auf den ersten Blick bestechend, aber im Lichte der aktuellen BGH-Rechtsprechung nur noch im Ausnahmefall erfolgversprechend, ist die Idee, geltend zu machen, dass die Abmahnung, die zur Abgabe der Unterlassungserklärung geführt hat, die den Unterlassungsschuldner heute bindet, rechtswidrig war und daher der Unterlassungsschuldner einen Schadensersatzanspruch hat, der auf Aufhebung des Unterlassungsvertrages gerichtet ist.
Diese Idee und der entsprechende rechtliche Ansatz erscheinen in jenen Problemfällen „charmant“, wo sich nachweisen lässt, dass der Unterlassungsschuldner (d. h. der Abmahner) getäuscht hat, aber der Nachweis der Arglist scheitert - weil sich der Abmahner damit verteidigt, er habe die Lage der Dinge versehentlich falsch dargestellt oder alles gar nicht so genau übersehen.
Darüber hinaus wird diese Frage dort interessant, wo die einjährige Anfechtungsfrist wegen arglistiger Täuschung bereits verstrichen ist.
Zu guter Letzt stellt sich diese Frage gerade auch in Fällen, in denen eine Kündigung eventuell nichts bringt, weil der Unterlassungsschuldner die Vertragsstrafe für einen bereits erfolgten Verstoß gegen die strafbewehrte Unterlassungserklärung einfordert. In diesem Zusammenhang ist von Interesse, dass Schadensersatzanspruch auch dann, wenn er verjährt ist - gemäß § 215 BGB - grundsätzlich als Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht werden kann, falls der Anspruch in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem erstmals die Leistung verweigert werden konnte.
Schuldnerfreundliche Auffassung des OLG Karlsruhe überholt
Lange Zeit hatte an diesem Punkt das am 11.03.1998 unter dem Aktenzeichen 6 U 141/97 ergangene Urteil des OLG Karlsruhe Unterlassungsschuldnern einige Hoffnung gegeben, sich ohne allzu große Probleme von einem fehlerhaft zustande gekommenen Unterlassungsvertrag lösen zu können.
OLG Karlsruhe 6 U 141/97 (überholt)
Hier hatte ein Webspace-Provider seinen Konkurrenten abgemahnt und ihm unrichtigerweise mitgeteilt, dass er es gemäß der damals gültigen Preisangabenverordnung zu unterlassen habe, mit Nettopreisen zu werben, für die sich erst durch den Sternchenhinweis auf das Seitenende ergibt, dass den Preisen Mehrwertsteuer hinzuzusetzen ist. Dabei hatten der abmahnende Webspace-Provider und sein abgemahnter Konkurrent zunächst beide übersehen, dass die beanstandete Werbung den Privatkunden kostenlosen Webspace versprach. Das beanstandete Nettopreis-Angebot eines kostenpflichtigen Webspace richtete sich also bei Licht betrachtet nur an Gewerbetreibende. Gegenüber Gewerbetreibenden durfte jedoch gem. des damaligen § 7 der PreisAngVO mit Nettopreisen geworben werden.
Hiervon ausgehend hat das OLG folgende Rechtsauffassung vertreten:
Die Beklagte kann von der Klägerin verlangen, dass diese nach den Grundsätzen über die culpa in contrahendo in die Aufhebung der Unterlassungsvereinbarung vom 11. Juli 1996 insoweit eingewilligt…. In dem Abmahnschreiben der Klägerin vom 28. Juni 1996 wird der Beklagten zu Unrecht ein Verstoß gegen die PreisAngVO und damit ein unlauteres Verhalten angelastet. Die von der Klägerin beanstandete Werbemaßnahme der Beklagten war gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 PreisAngVO zulässig.
Zwar kann, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in ihrem Abmahnschreiben die Rechtslage vorsätzlich unrichtig dargestellt und damit arglistig gehandelt hätte. Ihr ist jedoch in jedem Falle ein fahrlässiges Verhalten anzulasten, da sie bei der vor Absendung des Abmahnschreibens vorzunehmenden Prüfung der Rechtslage ohne weiteres auf die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PreisAngVO hätte stoßen und erkennen müssen, dass der Beklagten ein Wettbewerbsverstoß nicht vorgeworfen werden konnte. Hat ein Gläubiger vor Abschluss eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsvertrages beim Schuldner fahrlässig einen Irrtum über die Rechtslage hervorgerufen, kommt (Anm.: Laut damaliger Auffassung des OLG Karlsruhe) eine Haftung nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo in Betracht mit der Folge, dass der Schuldner Aufhebung bzw. Anpassung des Vertrages verlangen kann (Großkomm/Köhler, vor § 13 UWG, B Rn. 106; Köhler/Piper, UWG, vor § 13 Rd. 169).
Die aktuelle Rechtsauffassung des BGH
Dieser Ansatz des OLG Karlsruhe dürfte allerdings spätestens seit der BGH-Entscheidung „fishtailparka“, Urteil vom 08.05.2014, I ZR 210/12 hinfällig sein. Dort legt der BGH im Leitsatz Folgendes fest:
Bei Unterlassungserklärungen, die nach marken- oder wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen abgegeben werden, entspricht es in aller Regel dem objektiven Interesse beider Vertragsparteien, ihre Beseitigung nur dann zuzulassen, wenn auch der Durchsetzung eines entsprechenden Vollstreckungstitels entgegengetreten werden kann. Das setzt regelmäßig Gründe voraus, auf die sich auch eine Vollstreckungsabwehrklage stützen lässt – oder (Anmerkung des Verfassers) Gründe, auf die sich eine Restitutionsklage gem. § 580 ZPO stützen ließe.
Dieser Ansatz des BGH leuchtet durchaus ein. Der BGH geht von der Überlegung aus, dass der strafbewehrte Unterlassungsvertrag nach dem Willen der Parteien an die Stelle eines entsprechenden gerichtlichen Unterlassungsurteils getreten ist. Ein solches Unterlassungsurteil lässt sich nach Eintritt der Rechtskraft nur dann beseitigen, wenn die Voraussetzungen einer Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO vorliegen, oder eine Restitutionsklage gem. § 580 ZPO durchdringt. Gegen einen rechtsverbindlichen Unterlassungsvertrag gibt es weder eine Vollsteckungsabwehrklage noch eine Restitutionsklage. Daher ist laut des BGH ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zu gewähren, wenn Umstände vorliegen, aufgrund derer gegen ein gerichtliches Urteil mit den besagten Rechtsbehelfen vorgegangen werden könnte.
Diese Dogmatik des BGH steht in einer Linie mit der seit jeher herrschenden Auffassung zur Durchbrechung der Rechtskraft über § 826 BGB.
Es ist anerkannt, dass der Verzicht auf ein rechtskräftiges Unterlassungsurteil - auch ohne den Weg über die Restitutionsklage gem. § 580 ZPO – über den Schadensersatzanspruch auf Basis des § 826 BGB erzwungen werden kann, vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. A. 2012, vor § 322 Rn. 72. Der entscheidende Punkt dabei ist allerdings der, dass die Vorschrift des § 582 ZPO auch auf die alternative Schadensersatzklage auf Basis des § 286 ZPO anwendbar ist, vgl. Zöller/Vollkommer a.a.O., § 582 Rn. 1. Demnach kommt eine Durchbrechung der Rechtskraft nur dann in Frage, wenn die die Durchbrechung der Rechtskraft begehrende Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die Tatsachen, die den Schadensersatzanspruch auf Basis des § 286 ZPO tragen, schon vor Erlass des Urteils bei Gericht geltend zu machen.
Sieht man sich den Fall an, der dem oben geschilderten Urteil 6 U 141/97 des OLG Karlsruhe zugrunde liegt, dann kommt man unschwer zu dem Schluss, dass das Urteil des OLG Karlsruhe heute wohl keinen Bestand mehr hätte. Die Tatsache, dass das Unterlassungsbegehren des abmahnenden Webspace-Providers auf einer völligen rechtlichen Fehleinschätzung beruht, wäre im Falle einer Unterlassungsklage spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung geltend zu machen gewesen. Nach Eintritt der Rechtskraft wäre es zu spät gewesen, um hierauf noch eine Vollstreckungabwehrklage gem. § 767 ZPO stützen zu können. Damit muss nach der Doktrin des BGH aber auch der Idee eine Absage erteilt werden, hierauf eine außerordentliche Kündigung stützen zu können, die für den Unterlassungsvertrag an die Stelle der Vollsteckungsabwehrklage tritt.
Ähnlich hat auch das OLG Hamm den an dem oben genannten Urteil des OLG Karlsruhe orientierten Ansatz bewertet, vgl. OLG Hamm, Urteil vom 13.12.2012, Az. 4 U 107/12. Das OLG Hamm kommt im Falle einer Abmahnung wegen Markenverletzung zu folgender, abweichender Rechtsauffassung:
OLG Hamm, Urteil vom 13.12.2012, Az. 4 U 107/12
Grundsätzlich kann allein durch eine objektiv fehlerhafte Darstellung der Rechtslage in einer Abmahnung nicht der Vorwurf der Verletzung von - aus der Aufnahme von Verhandlungen zum Abschluss des Unterlassungsvertrages resultierenden - Sorgfaltspflichten durch den Abmahnenden begründet werden (Ahrens-Achilles, 6. Aufl., Kap 7 Rn 38 Fn 129; a.A. wohl OLG Karlsruhe OLGR CR 1998, 361). Dies ergibt sich schon aus dem im Wettbewerbsrecht für den Gläubiger bestehenden, gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 UWG als Obliegenheit ausgestalteten Abmahngebot als Vorstufe zur gerichtlichen Geltendmachung von wettbewerblichen Abwehransprüchen. Denn danach reicht allein die objektiv unbegründete Abmahnung grundsätzlich nicht aus, Ansprüche des Abgemahnten zu begründen (BGH WRP 1965, 97 - Kaugummikugeln). Schadensersatzansprüche kommen erst dann in Betracht, wenn die Grenze zum Missbrauch überschritten ist, was hier erkennbar nicht der Fall ist.
DIE KÜNDIGUNG DER UNTERLASSUNGSERKLÄRUNG
Die Kündigung gemäss § 314 BGB
Eine Unterlassungserklärung kann gekündigt werden, wenn ein Kündigungsgrund besteht. In Betracht kommt die außerordentliche Kündigung gem. § 314 BGB. Die Kündigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB wird vom BGH sehr zurückhaltend beurteilt, mehr dazu am Ende dieses Beitrags.
Nach der neueren BGH-Rechtsprechung sind folgende Kündigungsgründe anerkannt:
-
Ein nachträglicher Wegfall des gesetzlichen Unterlassungsanspruchs, der dem Unterlassungsvertrag zugrunde liegt, etwa durch eine inzwischen erfolgte Gesetzesänderung, vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2014, I ZR 210/12 – „fishtailparka“.
-
Das dem Unterlassungsschuldner durch den Unterlassungsvertrag verbotene Verhalten ist durch eine höchstrichterliche Leitentscheidung inzwischen eindeutig als rechtmäßig zu beurteilen, vgl. BGH "fishtailparka" a.a.O.
-
Die Fortsetzung des Unterlassungsvertrags ist dem Unterlassungsschuldner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zuzumuten – was z. B. der Fall ist, falls sich die Abmahnung, die zur Abgabe der Unterlassungserklärung geführt hat, als rechtsmissbräuchlich darstellt, vgl. BGH, Urteil vom 14.02.2019, I ZR 6/17 – „Kündigung der Unterlassungserklärung“.
Die beiden ersten der oben genannten Kündigungsgründe lassen sich auf den ersten Blick recht einfach anwenden.
► Erster Kündigungsgrund der obigen Liste (Gesetzesänderung)
Wer sich strafbewehrt dazu verpflichtet hat, eine bestimmte, nach der seinerzeitigen Preisangabenverordnung verbotene Preisangabe zu unterlassen, der kann den so zustande gekommenen Unterlassungsvertrag kündigen, wenn die Preisangabenverordnung später vom Gesetzgeber geändert wird und dadurch die betreffende Preisangabe nunmehr zulässig wird.
Sinngemäß Gleiches gilt z. B. im Patentrecht oder Gebrauchsmusterrecht. Hier ist an den Fall zu denken, dass sich der Unterlassungsschuldner strafbewehrt dazu verpflichtet hat, keine Brillenfassungen mehr anzubieten und in Verkehr zu bringen, deren Brillenbügel mit einem bestimmten Beschlag nach Maßgabe des ursprünglich sehr weit abgefasst erteilten Anspruchs 1 befestigt ist. Der Unterlassungsschuldner kann den Unterlassungsvertrag jedenfalls dann kündigen, wenn der Anspruch 1 durch ein Nichtigkeits- oder Löschungsverfahren rechtskräftig so weit eingeschränkt worden ist, dass die ursprünglich angegriffene Brillenfassung nicht mehr in den Schutzbereich des eingeschränkten Anspruchs 1 fällt. Dies deshalb, weil die rechtskräftige Einschränkung eines Patents oder Gebrauchsmusters einer mit Gesetzesänderung vergleichbar ist..
► Zweiter Kündigungsgrund der obigen Liste (höchstrichterlicher "Freispruch")
Nicht anders verhalten sich die Dinge unter Umständen in jenem Fall, in dem zwar der Zwischenhändler der besagten Brillenfassungen eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat, aber der verantwortliche Hersteller ein klärendes BGH-Urteil erwirkt hat - ein BGH-Urteil, mit dem festgestellt wird, dass die als Patentverletzung oder Gebrauchsmusterverletzung angegriffenen Brillenfassungen wider Erwarten doch nicht in den Schutzbereich des geltend gemachten Patents oder Gebrauchsmusters fallen, also keine Verletzung darstellen und daher rechtmäßig sind.
In diesem Fall kann der Zwischenhändler den von ihm eingegangenen Unterlassungsvertrag kündigen.
Der soeben geschilderte Fall wird allerdings in dem Moment „haarig“, in dem der Zwischenhändler von Anfang an in Betracht gezogen hat, dass das geltend gemachte Gebrauchsmuster oder Patent womöglich von dem von ihm angebotenen Brillengestell doch nicht verletzt wird – und dennoch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat, etwa weil er damals der Auffassung war, dass die noch vergleichsweise geringen Umsätze mit dem angegriffenen Brillengestell das hohe Prozesskostenrisiko eines Rechtsstreits nicht rechtfertigen.
Dann besteht das Risiko, dass die spätere Kündigung mit dem Hinweis auf das vom Hersteller des Brillengestells erstrittene BGH-Urteil (das besagt, dass gar keine Verletzung des Patents oder Gebrauchsmusters vorliegt) nicht als wirksam anerkannt wird – mit dem Hinweis, der Zwischenhändler hätte die Unterlassungserklärung unter der auflösenden Bedingung abgeben müssen, dass sie hinfällig wird, sobald auf Betreiben des Herstellers höchstrichterlich festgestellt worden ist, dass das angegriffene Brillengestell gar keine Patentverletzung oder Gebrauchsmusterverletzung darstellt (Abwandlung zum zweiten Kündigungsgrund der obigen Liste).
Ganz ähnlich liegen die Dinge in dem vom BGH entschiedenen Fall “fishtailparka“.
PRAXISBEISPIEL
Der Kläger ist Inhaber der Wort-Bildmarke:
Die Beklagten betrieben die Domains „fishtail-parka.com“ und „fishtail-parka.eu“. Sie boten hierunter Armeekleidung an, darunter auch die US-Army-Parkas M-51 und M-65. Diese Parkas sind hinten deutlich länger als vorne. Aufgrund dieses besonderen Schnitts werden die Parkas daher beschreibend als „Fishtail-Parkas“ bezeichnet und sehen mit ihrem unteren, fischschwanzartigen Ende so aus, wie nachfolgend eingeblendet:
Der Kläger mahnte wegen Markenverletzung ab. Die Beklagten gaben eine strafbewehrte Unterlassungserklärung wie nachfolgend zitiert ab, auflösend bedingt für den Fall, dass der Markenschutz entfällt:
Die Beklagten verpflichten sich, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr ohne Zustimmung des Klägers Armeebekleidung über das Internet zum Kauf anzubieten oder anbieten zu lassen, wenn dies geschieht
a) unter Verwendung der Domain "fishtail-parka.com" und/oder "fishtail-parka.de" und/oder
b) unter Verwendung des Zeichens "fishtailparkas and more", soweit der Begriff "fishtailparkas" nicht ausschließlich zur Bezeichnung der US-Army-Parkas M-51 und/oder M-65 gebraucht wird.
Das von den Beklagten gegen die Marke angestrengte Löschungsverfahren ging allerdings anders aus als erwartet: Das DPMA entschied, dass die Marke nur aufgrund ihrer eingangs gezeigten, besonderen grafischen Ausgestaltung die für ihre Rechtsbeständigkeit erforderliche Unterscheidungskraft habe.
Nachdem die Beklagten bei ihrer Benutzung des Worts „fishtail“ von der besonderen grafischen Ausgestaltung keinen Gebrauch machten, haben sie versucht, die damit zu weit gefasste Unterlassungserklärung zu kündigen. Der BGH hat die Kündigung nicht akzeptiert und das wie folgt begründet:
Die Beurteilung der Frage, ob der vom Kläger verfolgte gesetzliche Unterlassungsanspruch bestand, fiel nach der vertraglichen Unterlassungsvereinbarung in den Risikobereich der Beklagten. Nach dem Grundsatz interessengerechter Auslegung (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2013 - I ZR 9/12, GRUR 2013, 1213 Rn. 32 = WRP 2013, 1620 - Sumo, mwN) ist die von der Erwartung beider Parteien abweichende Begründung der Schutzfähigkeit der Klagemarke durch das Deutsche Patent- und Markenamt allein der Risikosphäre der Beklagten zuzuordnen, die die Unterlassungserklärungen abgegeben haben. Im Hinblick auf die streiterledigende, befriedende und einen gerichtlichen Titel ersetzende Funktion von Unterlassungserklärungen entspricht es in aller Regel dem objektiven Interesse beider Vertragsparteien, ihre Beseitigung nur dann zuzulassen, wenn der Grund für die Beseitigung bei einem Vollstreckungstitel als Einwendung nach § 767 ZPO geltend gemacht werden könnte. Besondere Umstände, die ausnahmsweise zu einer anderen Beurteilung führen könnten, sind im Streitfall nicht ersichtlich. Die Beklagten hatten im Gegenteil von Anfang an erhebliche Bedenken, ob die Klagemarke Bestand haben würde. Sie haben sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gleichwohl zur Unterlassung verpflichtet, weil sie kein wirtschaftliches Interesse an einer gerichtlichen Auseinandersetzung hatten. Als auflösende Bedingung haben sie nur den Fortfall der Marke vereinbart.
► Dritter Kündigungsgrund der obigen Liste ("unsauberes" Verhalten)
Deutlich schwieriger zu handhaben ist der dritte Kündigungsgrund aus der oben genannten Liste. Dieser Kündigungsgrund dürfte vor allem bei relativ krassen Fällen zum Zuge kommen. Ein solcher Fall liegt dem BGH-Urteil vom 14.02.2019, I ZR 6/17 – „Kündigung der Unterlassungserklärung“ zugrunde.
In diesem Fall hat ein nahezu vermögensloser Kläger massenhaft abmahnen lassen und ist dabei angeblich anwaltliche Honorarforderungen von mehr als 65.000 EUR eingegangen. Der BGH ist daraufhin in einer Linie mit dem zuvor mit der Sache befassten OLG davon ausgegangen, dass hier ein zur Kündigung berechtigender Fall des Rechtsmissbrauchs vorliegt:
Rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG liegt vor, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde Ziele sind, wie etwa das Interesse, Gebühren zu erzielen oder den Gegner durch möglichst hohe Prozesskosten zu belasten oder ihn generell zu schädigen. Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung kann sich unter anderem daraus ergeben, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zu der gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht.
DIE KÜNDIGUNG GEMÄSS § 313 BGB
Wie schon oben angesprochen, zieht der BGH die Kündigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage recht zurückhaltend in Erwägung. Das ist der Entscheidung des BGH, Urteil vom 08.05.2014, I ZR 210/12 – „fishtailparka“ zu entnehmen, vgl. auch Teplitzky/Schaub, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 11. A. 2016, Kap. 20, Rn. 25, am Ende:
Änderungen in der rechtlichen Beurteilung des gesetzlichen Unterlassungsanspruchs, der dem Unterlassungsvertrag zugrunde liegt, die für eine außerordentliche Kündigung nicht ausreichen, sind regelmäßig nicht geeignet, einen Wegfall der Geschäftsgrundlage zu begründen oder die Geltendmachung des vertraglichen Unterlassungsanspruchs rechtsmissbräuchlich erscheinen zu lassen.