veröffentlicht am 04.01.2025
DIE ZENTRALE NICHTIGKEITSKLAGE GEGEN EIN EINHEITSPATENT
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IM FOKUS
Die "Nichtigkeitsklage" gegen ein EU-Einheitspatent bzw. ein Einheitspatent. Ein zu diesem Thema häufig kolportierter Klassiker: Das EU-Einheitspatent alias EU-Patent ist schwächer. Dies deshalb, weil man seine angeblich mangelnde Rechtsbeständigkeit vor dem für alle EU-Länder zuständigen Gemeinschaftspatentgericht jederzeit zentral geltend machen kann. Es ist nicht länger nötig das Patent in diversen Ländern parallel nichtig klagen zu müssen. ► Lesen Sie, warum man diesen Standpunkt kritisch überdenken sollte.
ZENTRALE NICHTIGKEITSKLAGE | EINHEITSPATENT
In der Theorie stimmt die vielerorten kolportierte Auffassung. Nämlich die Auffassung, das das klassische EP-Patent nach seinem vollständigen "Zerfall" in ein Bündel aus einzelnen nationalen Patenten kaum noch in allen Ländern beseitigt werden kann - auch wenn seine Nichtigkeit recht offen zu Tage tritt. Dies deshalb, weil der Ablauf der Einsruchsfrist das Ende der Möglichkeit markiert, mit einem einzigen Angriff an zentraler Stelle das gesamte Patentbündel zu vernichten, das aus dem klassischen EP-Patent hervorgegangen ist.
Tatsächlich hat es einige prominente Fälle gegeben, die den jeweilgen Patentverletzter und Nichtigkeitskläger in ein prekäre Situation gebracht haben. Das sind Fälle, in denen das BPatG und der zweitinstanzlich zuständige BGH das aus dem EP-Patent hervorgegangene DE-Patent für nichtig erklärt haben, während die britischen Gerichte das identische UK-Patent aufrecht erhalten haben. Allen voran ist der viele Jahre zurückliegende Fall zu nennen, der unter dem Stichwort "Epilady" bekannt geworden ist.
Unzählige andere Praxisfälle haben zwischenzeitlich allerdings gezeigt, dass der Fall "Epilady" und die wenigen weiteren Fälle dieser Art Ausnahmefälle sind.
Im Regelfall ist es faktisch mit dem EP-Bündelpatent "vorbei", wenn erst einmal das BPatG das entsprechende deutsche Patent für nichtig erklärt hat und der BGH das Urteil bestätigt hat.
Außerhalb der Großkonzerne versucht dann fast kein Patentinhaber, der die Nichtigkeit seines EP-Patents in Deutschland höchstrichterlich "attestiert" bekommen hat, weiterzumachen - indem er noch einen ungleich teureren Patentrechtsstreit vor italienischen Gerichten, in Paris oder im noch viel kostspieligeren London zu startet, nur um dort entgegen des "deutschen Attests" doch noch von der Rechtsbeständigkeit seines EP-Patents zu überzeugen.
Erst Recht lässt sich in dieser Situation fast kein Patentinhaber auf "Grabenkämpfe" vor den Patentgerichten der kleineren Länder ein. Kleinere Länder, die (mit Ausnahme des Gerichts im niederländischen Den Haag) eher seltener über die Rechtsbeständigkeit von Patenten urteilen. Länder, in denen Patentstreitigkeiten in Ermangelung konkurrierender Spezialanwälte für Patentstreitverfahren trotzdem hohe Kosten verursachen, die womöglich durch die geringere Stückzahl der in diesen Ländern angeblich unter Patentverletzung verkauften Produkte nicht gerechtfertigt werden.
ZEITENWENDE BEI DER NICHTIGKEITSKLAGE NUTZEN
Auch wenn es sich vielleicht provokant anhören mag:
Es besteht die Möglichkeit, dass es sich aus der Sicht der Patentinhaber in absehbarer Zeit eher als Stärke des mit der Einführung des EU-Einheitspatents einhergehenden neuen EU-Patentsystems herausstellen wird, dass man seine Patente, die aus dem vom EPA erteilten EP-Patent hervorgehen, der richterlichen Nichtigkeitsüberprüfung des BPatG, des BGH und der Gerichte der meisten anderen großen europäischen Staaten entziehen kann.
Den Grund hierfür hören die Architekten des Europäischen Patentsystems nicht gerne. Über ihn wird daher bislang meist nur diskret gesprochen:
Nicht zuletzt das Europäische Patentamt hat die Anforderungen an die für die Patenterteilung erforderliche erfinderische Tätigkeit de facto sehr weit herabgesetzt. Gerade in den letzten Jahren wurden viele relativ anspruchslose EP-Patente erteilt, die dann später vom BPatG für nichtig erklärt wurden.
Für Nichtigkeitsklagen gegen EU-Einheitspatente sind schon jetzt nur noch die Gemeinschaftspatentgerichte zuständig.
Zwar sind die Gemeinschaftspatentgerichte von Anfang an mit wegen ihrer gerichtlichen Erfahrung in Patentstreitsachen reputierten Richtern besetzt. Mit Richtern, von denen einer sogar Techniker ist, anstatt Jurist. Daher gilt eigentlich die Devise "welcome Gemeinschaftspatentgericht".
Es besteht aber dennoch derzeit eine gewisse Sorge, dass die Gemeinschaftspatentgerichte sich nicht länger als "Systemsprenger" verstehen werden und daher die vom EPA sehr großzügig erteilten Patente zurückhaltender für nichtig erklären werden, als es beispielsweise das BPatG bislang tut.
Denn die Mehrzahl der bei den Gemeinschaftspatentgerichten zuständigen Richter sind reine Juristen, die besonders erfahren in Patentverletzungsprozessen sind. Im Patentverletzungsprozess gilt aber (zumindest in in Deutschland) die probate Devise, dass ein Patent schon "offensichtlich" nichtig sein muss, um den von ihm getragenen Verletzungsprozess anhalten zu können.
Das Korrektiv für diese sehr patentinhaberfreundliche Haltung war bisher das mit technischen Richtern besetzte BPatG.
Momentan bleibt abzuwarten, ob sich die oder der den Gemeinschaftspatentgerichten zugeordnete technische Richter*in bei der Beurteilung der Nichtigkeit eines EU-Patents derart stark durchsetzen kann, dass die bisherige geballte technische Expertise des BPatG bei den neuen Gemeinschaftspatentgerichten in vergleichbarem Umfang abgebildet wird.
Angesichts dieser Perspektive stellt sich ernsthaft die Frage, ob man den aktuellen Bedenken, ein EU-Einheitspatent könne wegen der jederzeitigen Möglichkeit eines Zentralangriffs viel leichter vernichtet werden, wirklich einen entscheidungsrelevanten Stellenwert einräumen muss.