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TRIVIALPATENT

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IM FOKUS

Die Voraussetzungen für ein Patent, erläutert am Beispiel "Trivialpatent, das vielleicht keines ist": Hier stehen die Erfolgsgeschichte der als "Tangle Teezer" bekannt gewordenen Haarbürste und das zugehörige Patent im Fokus, über das sogar das britische Patentamt berichtet. Wer das Patent im gegebenen Kontext einfach nur als Trivialpatent abtut, wird der Sache nicht gerecht. Der Fall ist vielmehr ein illustratives Beispiel dafür, dass die Patentämter bei der Bejahung der Voraussetzungen für die Erteilung eines Patents recht großzügig sind und sich das gut nutzen lässt - um immer wieder auch für scheinbar sehr einfache Konstruktionen ein Patent zu erreichen. Lassen Sie sich am konkreten Beispiel zeigen, wie man typischerweise vorgeht und wie man aus einem vermeintlichen Trivialpatent und vielen weiteren kleinen Bausteinen eine wirksame Schutzrechtsstrategie zusammenstellen kann.

DIE ERFOLGSSTORY DER PATENTANMELDUNG EP 2124688

Der sogenannte Tangle Teezer ist ein Striegel bzw. eine Haarbürste, die als besonders effektives Werkzeug zur Pflege langer Haare vermarktet und bekannt geworden ist. Einen beachtlichen Anteil an der Erfolgsstory des Tangle Teezer hat das europäische Patent EP 2124668 A1. Die Britin Shaun Pulfrey ist die Erfinderin und der "Motor" der Tangle Teezer Erfolgsstory, die zu einem globalen Hype um den Tangle Teezer geführt hat, der heute nach eigenem Bekunden in 70 Ländern verkauft wird.

Die Karriere des Tangle Teezer begann mit einem krachenden Misserfolg: Im Jahr 2007 stellte Shawn Pulfrey ihren zum Patent angemeldeten Tangle Teezer in der Sendung Dragon's Den vor. Dragon's Den brachte in UK schon damals  publikumswirksam Erfinder und Investoren zusammen, nach dem gleichen Muster wie die heute in Deutschland unter dem Title "Höhle der Löwen" bekannt gewordene Sendung.

Pulfreys Angebot, für eine Anschubfinanzierung von £ 80,000 einen Anteil von 15% an der Marke "Tangle Teezer" abzutreten, wurde mit teils markigen Sprüchen abgelehnt. Der Auftritt weckte aber erhebliches Interesse und machte den Tangle Teezer soweit bekannt, dass es steil bergauf ging.

EINE PROFESSIONELLE PATENTANMELDUNG

Die unter der Nummer WO 2008/117009 A1 veröffentlichte Patentanmeldung für den Tangle Teezer ist gut gemacht:

Die später als Tangle Teezer bekannt gewordene Haarbürste ist ausweislich des nebenstehenden Fotos eigentlich denkbar simpel aufgebaut. Dennoch konnte ein Patent für den Tangle Teezer erwirkt werden. Die Patentanmeldung hierfür hat es richtig gemacht: Die Haarbürste wird auf 10 Seiten fotografisch genau beschrieben. Kaum eine Einzelheit wird ausgelassen. Dadurch konnte die Patentanmeldung zu gegebener Zeit gut abgegrenzt werden.

Der durch ein Patent geschützte Tangle Teezer Geschützt durch ein Patent: Der Tangle Teezer

Ebenfalls gut gemacht ist der ursprünglich eingereichte Patentanspruch 1. Er ist zunächst denkbar weit abgefasst und lautet in deutscher Übersetzung und der besseren Übersicht halber in einzelne Merkmale aufgegliedert in etwa wie folgt:

[1] Haarpflegegrät zum Entwirren von Haar

[2] mit einem Korpus

[3] und einer Vielzahl davon abstehender, im wesentlichen paralleler, flexibler Borsten aus einem weichen Kunststoffmaterial,

[4] wobei die besagten Bosten derart angeordnet sind, dass zumindest über einen Teil des besagten Borstenbereichs hinweg einige der Borsten eine kürzere Länge aufweisen

[5] und die Borsten mit der kürzeren Länge zumindest in dem besagten Teil des Borstenbereichs verteilt sind.

Kurz gesagt hat die Patentanmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Form Schutz für eine Haarbürste beansprucht, die unterschiedlich lange, parallell aufgestellte und aus weichem Kunststoffmaterial bestehende Borsten besitzt. Diese Borsten sollen ein Borstenfeld bilden, das aus einer Mischung von längeren und kürzeren Borsten besteht.

Dass ein derart weit abgefasster Anspruch nicht schutzfähig sein kann, ist klar und war mit Sicherheit auch vom Verfasser der Patentanmeldung so erwartet worden.

Vom Patentamt entgegengehaltener Stand der Technik

Prompt wurde diesem Patentanspruch dann auch wirklich neuheitsschädlicher Stand der Technik entgegengehalten, unter anderem in Gestalt des US-Patents 2 607 064 A. Dieses Patent zeigt zwar eine ingesamt etwas anders gestaltete Haarbürste.

Das ältere Patent nimmt aber dennoch alle der oben aufgelisteten Merkmale 1 bis 4 des Anspruchs vorweg, jedenfalls wenn man jedes Merkmal für sich allein betrachtet, so, wie bei der Neuheitsprüfung üblich. Das gilt auch für die langen und kurzen Borsten:

Bei der entgegengehaltenen Bürste enden die Borstenspitzen zwar alle in einer Ebene, wegen des gekrümmten Bürstenkörpers sind die Borsten aber unterschiedlich lang. Das Borstenfeld der entgegengehaltenen Bürste besteht also auch aus einer Mischung langer und kurzer Borsten.
Schon bekannt: Dem Tangle Teezer entgegengehaltenes US-Patent 2 607 064 A

Geschickte Abgrenzung im Laufe des Prüfungsverfahrens

Was dann folgt, ist das klassische Vorgehen im Patenterteilungsverfahren.

Die Patentinhaberin sieht sich an, welche körperlichen Merkmale der zu schützenden Bürste bei der aus dem Stand der Technik bekannten Bürste nicht vorhanden sind und sich dort auch nicht implementieren lassen, ohne die bekannte Bürste komplett "umzubauen". Je mehr Details bei der Ausarbeitung der Patentanmeldung beschrieben worden sind, desto mehr Möglichkeiten bestehen in diesem Stadium.

Die Idee, dem Stand der Technik "auszuweichen", setzt die Patentanmelderin dadurch um, dass die nachfolgend markierten Streichungen vorgenommen werden und der in kursiver Schrift markierte Zusatztext in den Patentanspruch eingeführt wird.

[1] Haarbürste Haarpflegegrät zum Entwirren von Haar

[2] mit einem Korpus

[3] und einer Vielzahl davon abstehender, im Wesentlichen paralleler, flexibler Borsten aus einem nicht starren weichen Kunststoffmaterial,

[4] wobei die besagten Bosten derart angeordnet sind, dass zumindest über einen Teil des besagten Borstenbereichs hinweg einige der Borsten eine kürzere Länge aufweisen,

[5] wobei die Borsten in sich abwechselnden Reihen kürzerer und längerer Borsten angeordnet sind und die Borsten mit der kürzeren Länge zumindest in dem besagten Teil des Borstenbereichs verteilt sind,

[6] wobei die besagten längeren und kürzeren Borsten gegenüber Borsten in beanachbarten Reihen versetzt angeordnet sind,

[7] wobei die Borsten an ihrer Basis, nahe dem Bürstenkörper, dicker sind als an ihren freien Enden und leicht kegelig ausgeführt sind oder zwei oder mehr unterschiedliche Abschnitte mit unterschiedlicher Dicke besitzen,

[8] wobei die Länge der kürzeren Borsten dem Biegepunkt der längeren Borsten entspricht.

Die Einschränkung sieht auf den ersten Blick beeindruckend aus. Der Anspruch scheint deutlich beschränkt worden zu sein, der Prüfer erteilt das Patent daraufhin.

Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass die Anmelderin auch bei dieser Einschränkung gut beraten war. Denn die Einschränkung der Patentanmeldung bzw. ihres Anspruchs ist keineswegs so gravierend, wie ihr verbaler Umfang vermuten lässt:

Geschützt wird nach wie vor jede Haarbürste, die parallell aufgestellte und aus flexiblem Kunststoffmaterial bestehende Borsten besitzt, wenn:

  • die Borsten wechselweise Reihen aus langen und kurzen Borsten bilden,
  • wenn die Borsten benachbarter Reihen relativ zueinander versetzt sind
  • und wenn die Borsten kegelig sind oder stufenweise unterschiedliche Durchmesser besitzen, was beides für aus Kunststoff gespritzen Borsten typisch ist und unter dem Stichwort "Ausformschräge" läuft,  
  • und die kürzeren Borsten am Biegepunkt der längeren Borsten enden.

Dieses letzte Merkmal ist besonders interessant. Denn es beschreibt eine Eingenschaft, die es eigentlich gar nicht gibt - ungeachtet ihres sich über die Länge hinweg verändernden Durchmessers bilden die längeren Borsten bei Belastung auf ganzer Länge eine Biegelinie aus. Einen ausdrücklichen "Biegepunkt" gibt es nicht.  

Das führt in einem Patentverletzungsverfahren dazu, dass dieses letztgenannte Merkmal im Wege der Auslegung aller Voraussicht nach weitgehend relativiert werden muss, sodass von ihm keine allzu große beschränkende Wirkung mehr ausgeht.  

Bei der Prüfung der Patentfähigkeit geltende Maßstäbe

Als Konstrukteure erfahrene Praktiker stellen sich an dieser Stelle die Frage, ob man dem Patentanspruch nicht ganz pauschal dadurch seine Erfindungsqualität absprechen kann, dass man darauf hinweist, dass die Erfinderin nichts anderes gemacht hat, als die Geometrie des Borstenfeldes so auszulegen, dass es an die Anforderungen des konkreten Anwendungsfalls angepasst ist, d. h. "das Lastenheft erfüllt".

In der Tat fragt man sich, inwiefern sich dieser Fall von jenem anerkanntermaßen nicht patentfähigen Fall unterscheidet, in dem der Konstrukteur z. B. ein Karosseriebauteil eines PKW ganz selbstverständlich so auslegt, dass es den geforderten Betriebsbeanspruchungen stand hält.

Der Patentanmelderin ist hier die oft zu beobachtende Anmelderfreundlichkeit des Patentamts zugute gekommen. Diese hat zur Folge, dass die meisten Prüfer einen Patentanspruch wirklich nur dann zurückweisen, wenn sich für die von ihm beanspruchte technische Lösung eine Vorlage in Gestalt eines identischen oder zweier gut miteinander kombinierbarer Dokumente im Stand der Technik findet.

Letzteres ist hier tatsächlich nicht der Fall, sodass die Patenterteilung nach gängiger Amtspraxis zu Recht erfolgt ist.

Aus alledem lässt sich unschwer ablesen, dass Laien oft zu Unrecht davon ausgehen, dass die Erteilung eines Patents eine erhebliche Erfindungshöhe erfordert, die ihrem innovativen Produkt "gefühlt" zu fehlen scheint.

NICHT BEI EINEM PATENT STEHEN BLEIBEN

Selbstverständlich wird ein Patent für eine derart simple Technologie nur in den seltensten Fällen zum uneinnehmbaren Bollwerk.

Denn ein Patent kann zu jedem Zeitpunkt während seiner maximal 20-jährigen Laufzeit durch eine Nichtigkeitsklage angegriffen werden. Es kommt nicht selten vor, dass sich ein Patent, dass das Amt für patentfähig befunden hat, mit einer von einem Anwalt, der sich wirklich auskennt, gut geführten Nichtigkeitsklage nachträglich doch noch kippen lässt. Der Kostenaufwand für eine Nichtigkeitsklage liegt allerdings fast immer weit im fünfstelligen Bereich und schreckt daher gerade kleinere Nachahmer sehr oft ab.

Die Erfinderin des Tangle Teezer, Shaun Pulfrey, hat auch insoweit alles richtig gemacht.

Denn sie ist nicht bei einem Patent stehen geblieben, sondern hat zur flankierenden Absicherung gleich auch noch mehrere Designpatente bzw. Geschmacksmuster eingereicht, allen voran das US-Designpatent DS 576,804 S.

Zugleich wurde auch das Zeichen "Tangle Teezer" umfangreich mithilfe von eingetragenen Marken geschützt, den Anfang hat seinerzeit die EU-Marke "Tangle Teezer" gemacht, die vom Markenamt für die Europäische Union unter dem Aktenzeichen 004345963 eingetragen worden ist.

 

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