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AUSLEGUNG EINES PATENTANSPRUCHS: BGH SETZT SEINE LINIE FORT

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Im Fokus: Die Auslegung eines unklaren Patentanspruchs.
Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil BGH X ZR 101/13 einmal mehr vorgeführt, dass auch in Fällen äußerster Unklarheit des Patentanspruchs eine Auslegung des Patentanspruchs stattzufinden hat - es ist eine sog. funktionsorientierte Auslegung des unklaren Patentanspruchs vorzunehmen. Auch für die Frage, ob der Patentanspruch unzulässig erweitert ist, ist die voranzustellende Auslegung des Patentanspruchs entscheidend. Fazit: Jeder Beurteilung eines Patentanspruchs hat eine genaue Auslegung des Wortlauts des Patentanspruchs voranzugehen...

IN STICHWORTEN | SACHVERHALT

Das mit einer Nichtigkeitsklage angegriffene europäische Patent EP 1102809 B1 schützt unter anderem ein Verfahren zur Zubereitung eines Polymerschaums.

Der im Rahmen der internationalen Patentanmeldung WO 00/06637 A1 ursprünglich eingereichte Verfahrensanspruch sah vor, dass eine "polymer composition" und eine Vielzahl von Mikrokügelchen unter bestimmten, hier nicht näher interessierenden Prozessbedingungen miteinander vermischt werden sollen, womit man das gewünschte Produkt bekommt, nämlich einen Polymerschaum mit einer besonders glatten Oberfläche.

Im Laufe des Patenterteilungsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt wurde der Verfahrensanspruch tiefgreifend geändert. Er sieht in der zur Erteilung gekommenen Fassung vor, dass eine "molten polymer composition" und eine Vielzahl von Mikrokügelchen unter bestimmten, hier nicht näher interessierenden Prozessbedingungen miteinander vermischt werden sollen, um an das gewünschte Produkt zu bekommen.

Die Parteien streiten darüber, ob die vor der Patenterteilung vorgenommene Einfügung "molten" polymer composition" eine unzulässige Erweiterung darstellt und ob der Anspruch 1 gegenüber dem Stand der Technik neu und erfinderisch ist. Das Bundespatentgericht hat der Nichtigkeitsklage stattgegeben und das Patent für nichtig erklärt.

IM FOKUS | DER ANSATZ DES BUNDESPATENTGERICHTS

BPatG 3 Ni 28/09 (EU): Das Bundespatentgericht hat in seinem Urteil den im angegriffenen Patentanspruch verwendeten Begriff "molten polymer composition" ohne Weiteres in einem engeren Sinne interpretiert - der Begriff "molten" soll nach Auffassung des BPatG wirklich den schmelzflüssigen Zustand beschreiben, nicht nur den breiigen oder teigigen, mehr oder minder geschmolzenen Zustand.

Im Anschluss daran ist das Bundespatentgericht zu dem Schluss gekommen, dass sich den ursprünglich vom Patentanmelder eingereichten Unterlagen nirgendwo entnehmen lässt, dass die Polymerzusammensetzung bereits im engeren Sinne geschmolzen sein muss, bevor ihr die Mikrokügelchen zugemischt werden.

Daher ist das BPatG zu dem Schluss gekommen, dass der erteilte Patentanspruch 1 gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen eine "eigentlich" unzulässige Erweiterung darstellt. Gleichwohl ist das BPatG (aus seiner Sicht zu Recht) zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Umstand nach der Rechtsprechung des BGH nicht zur Nichtigerklärung des Patents führen kann, weil die Aufnahme des ursprünglich nicht offenbarten Merkmals "molten polymer composition" lediglich zu einer reinen Einschränkung des Patentanspruchs führe.

Im Anschluss daran hat das BPatG das Patent trotzdem für nichtig erklärt. Aus seiner Sicht zu Recht stellt sich das BPatG auf den Standpunkt, dass ein ursprünglich nicht offenbartes Anspruchsmerkmal, das nachträglich in einen Patentanspruch aufgenommen wurde, nicht dazu dienen kann, um den Patentanspruch gegenüber dem Stand der Technik abzugrenzen.

Nachdem alle anderen Merkmale des Anspruchs 1 bereits aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik bekannt waren, hat das BPatG den angegriffenen Anspruch und mit ihm das ganze Patent für nichtig erklärt.

KORREKTUR | DER ANSATZ DES BUNDESGERICHTSHOFES

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Ansatz des BPatG nicht gelten lassen.

Der BGH hat sich daran gestoßen, dass das BPatG nicht zunächst durch Auslegung des angegriffenen Patents geklärt hat, welche Bedeutung dem Anspruchsmerkmal "molten polymer composition" beizumessen ist und ob der Begriff "molten" wirklich im engeren Sinne einer echten Schmelzflüssigkeit zu verstehen ist.

Dabei betont der BGH, dass von der notwendigen Auslegung eines Mekmals nicht mit der Begründung abgesehen werden kann, das Merkmal sei unbestimmt und deshalb zur Abgrenzung vom Stand der Technik ungeeignet. Selbst dann, wenn eine Patentschrift dem Fachmann keinerlei ausdrückliche Definitionen oder Informationen an die Hand gibt, wie ein im Anspruch zu findender Ausdruck auszulegen ist, muss nach (richtiger) Auffassung des BGH eine Auslegung vorgenommen werden, wie der Ausdruck aus der Sicht des Fachmanns auszulegen ist - Fortsetzung der vom BGH mit dem Urteil X ZR 95/05 - "Straßenbaumaschine" schon für das Patentverletzungsverfahren vorgegebenen Linie.

In solchen Fällen, so der BGH weiter, ist eine funktionsorientierte Auslegung vorzunehmen.

Im konkreten Fall hat der BGH daher den Begriff "molten polymer composition" in Orientierung daran ausgelegt, wie das von dem angegriffenen Anspruch beschriebene Verfahren funktioniert. Das hat den BGH zu dem Ergebnis geführt, dass die Polymer-Zusammensetzung bei Zugabe der Mikrokugeln nicht im strengen Sinne geschmolzen sein muss, sondern dass ihre Viskosität lediglich soweit herabgesetzt sein muss, dass sie in einem Extruder verarbeitbar ist.

Damit liegt dann alllerdings keine unzulässige Erweiterung vor, da diese weite Auslegung des Begriffs "molten polymer composition" nicht über das hinausgeht, was bereits in den ursprünglich vom Patentanmelder eingereichten Unterlagen offenbart war.

Gleichwohl hat auch der BGH das Patent für nichtig erklärt, da sich das Verfahren bei einer derart weiten Auslegung des Begriffs "molten polymer composition" nicht von den bereits bekannten Verfahren unterscheidet.

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