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LG Nürnberg-Fürth 3 O 3342/93 - PLAYMOBIL-FIGUR

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Auszug aus dem Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 28.10.1994

Aktenzeichen 3 0 3342/93

Stichwort "Playmobil-Figur"

 

Auszug aus den Entscheidungsgründen des Landgerichts:

 

Die "Playmobil"-Figur besitzt urheberrechtliche Werksqualität.

1.   Ein Werk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG erfordert eine Gestaltungsform, bei der der Künstler seinem Ausdruckswillen in Formen oder in Formen und Farben Gestalt verliehen hat. Diese Gestaltungsform muß eine persönliche geistige Schöpfung darstellen, wobei es vor allem darauf ankommt, daß das Kunstwerk von der Individualität des Künstlers geprägt ist und die erforderliche künstlerische Gestaltungshöhe aufweist (Schricker-Loewenheim, a.a.0., § 2 Rdn. 91).

Es muß eine eigenpersönliche geistige Schöpfung vorliegen, die mit den Darlegungsmitteln der Kunst durch formgebende Tätigkeit hervorgebracht und vorzugsweise für die Anregung des ästhetischen Gefühls durch Anschauung bestimmt ist, und deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, daß nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Verkehrskreise von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann.

Bei Werken der angewandten Kunst handelt es sich um Bedarfs- und Gebrauchsgegenstände mit künstlerischer Formgebung. Im Unterschied zum Geschmackmusterschutz muß für den Urheberrechtsschutz künstlerische Gestaltungshöhe, d. h. ein höherer Grad ästhetischen Gehalts vorliegen, das Werk muß von der Individualität des Urhebers geprägt sein (Schricker-Loewenheim, a.a.0., Rdn. 101). Dabei kann sich die künstlerische Individualität dort nicht entfalten, wo eine bestimmte Formgebung durch den Gebrauchszweck oder aufgrund technischer Gegebenheiten vorgegeben oder üblich ist. Bei der Prüfung, ob ein Werk der angewandten Kunst den erforderlichen Mindestgrad an Gestaltungshöhe aufweist, müssen alle Formungselemente, die auf bekannte Vorbilder zurückgehen, ausscheiden, soweit nicht gerade in ihrer Kombination untereinander oder mit neuen Elementen eine schöpferische Leistung zu erblicken ist.

In der bisherigen Rechtsprechung wurde Urheberrechtsschutz z. B. dem "Mecky-Igel", den "Hummel"-Figuren, der "Reh"-Figur "Bambi" sowie den "Schlümpfen" zuerkannt.

2.   Eine Beurteilung anhand dieser dargelegten Grundsätze führt zu dem Ergebnis, daß die unter der Bezeichnung "Playmobil" vertriebene Figur der Kl. ein urheberrechtsschutzfähiges Werk darstellt.

Die "Playmobil"-Grundfigur der Kl. wird durch eine Kombination einer Vielzahl von Merkmalen geprägt. Der Kopf der Spielfigur ist rund und wird von einem perückenähnlichen Haarteil mit gezackter Ponyfrisur bedeckt. Die Gesichtszüge sind unprofiliert und durch zwei große aufgemalte runde Augen und einen nach oben gezogenen aufgemalten halbmondförmigen Mund angedeutet. Der jackenförmige, nach unten hin etwas nach außen gestellte Oberkörper reicht hinten tiefer herab als vorne und weist am Vorderteil eine Längsfalte auf. An den Schultern sind die Arme drehbar in derselben Farbe angebracht. An den Armen befinden sich, ebenfalls drehbar gelagert, fleischfarbene zangenförmige Hände. Das einteilige Rumpfunterteil wird von den nach außen gespreizten Beinen beherrscht, die in zwei standbrettartig ausgebildeten Füßen enden.

Alle dieseMarkmale fügen sich zu dem Gesamteindruck einer niedlichen Kinderscheinung zusammen (BGH GRUR 1980, 235, 236 - Play-Family).

Insbesondere die gezackte Ponyfigur, die der Figur einen typisch jugendlichen Ausdruck verleiht, bestimmt auch den weiteren Gesamteindruck mit. Die Proportionen von Kopf, Körper und Beinen verstärken den Eindruck eines Kindes, da die Größe des Kopfes gegenüber Körper und Beinen auffällt. Der Eindruck von Kindlichkeit wird verstärkt durch die abgerundeten Schultern und die abgerundeten, nach unten dünner werdenden Arme und Beine. Schließlich weist die Figur große runde Kinderaugen auf.

Insgesamt betrachtet erweckt die "Playmobil"-Grundfigur den Eindruck eines freundlichen und aktiven jungen Menschen. Der BGH hat in der zitierten Entscheidung von einer "niedlichen Kinderscheinung" sowie von einem "typisch jungenhaft-sympathischen Ausdruck" gesprochen.

Die Figur vermittelt darüberhinaus den Eindruck eines aktiven, zupackenden und mit beiden Beinen im Leben stehenden jungen Menschen. Diese Einschätzung gründet nicht zuletzt auf der zangenartigen Form der Hände sowie dem durch die Gestaltung von Beinen und Füßen hervorgerufenen Eindruck der "Standfestigkeit".

Durch die Gesamtheit dieser genannten Merkmale erhält die Figur der Klagepartei ein charakteristisches und besonderes Gepräge. Den von den Bekl. vorgebrachten Einwand, die Figur der Kl. folge nur dem Aufbau der menschlichen Gestalt und den üblichen menschlichen Bewegungsmöglichkeiten, kann sich die Kammer nicht anschließen. Die "playmobil"-Grundfigur ist grade nicht eine naturalistische Darstellung eines Menschen oder Menschentyps. Von der menschlichen Gestalt, ihren Proportionen und ihrem "normalen" Äußeren wurde in vielfacher Hinsicht abstrahiert und eine Merkmalskombination geschaffen, die in der Natur nicht vorgegeben ist.

Demnach hat der Schöpfer der "Playmobil"-Grundfigur nicht die Natur kopiert, sondern in Verwirklichung eigenständiger Vorstellungen eine auf ihre wesenlichen Elemente zurückgenommene, trotzdem aber noch natürlich wirkende menschliche Figur geschaffen. Dem Schöpfer des Klagemodells ist es gelungen, Modelle zu schaffen, die unter teilweiser Verwendung technisch bedingter und/oder bereits bekannter Kombinationselemente einen ästhetischen Gesamteindruck hervorrufen, der im vorbekannten Formenschatz noch nicht vorhanden ist (BGH, a.a.O. - Play-Family). Kopf, Körper Arme und Beine sind ohne Beachtung anatomischer Einzelformen und Genauigkeit dargestellt. Trotzdem wirkt die Figur echt und nicht verzerrt, bei aller Vereinfachung nicht stilisiert, sondern natürlich menschlich ansprechend. Trotz oder gerade wegen einer Reihe bislang unbekannter Formverfremdungen - perückenartig gezackte Frisur, jackenartiger Oberkörper, zangenartige Hände, breitbeiniges Unterteil mit plattenartigen Füßen ­vermittelt die "playmobil"-Grundfigur den Charakter eines ganz bestimmten Menschentyps. Zwar wirkt diese Figur - wie dargelegt - kindlich-jugendhaft, aber keineswegs unglaubwürdig, wenn sie mit Zubehörteilen aus der Erwachsenenwelt in Verbindung gebracht wird. Diese Figur ermöglicht es dem spielenden Kind, sich mit ihr zu identifizieren und quasi durch sie bzw. mit ihr in der Erwachsenenwelt zu agieren.

Die Leistung des Schöpfers der "Playmobil"-Figur hebt sich nach alledem unzweifelhaft erheblich aus der Masse des Alltäglichen heraus und zeigt mannigfaltige und deutliche Ausprägungen des individuellen künstlerischen Geistes ihres Schöpfers. Ihr ästhetischer Gehalt rechtfertigt es ohne Einschränkung von einer künstlerischen Leistung zu sprechen.

Diese Auffassung der Kammer wird bestätigt durch eine Reihe von Indizien für die urheberrechtliche Werkqualität der "Playmobil"-Grundfigur.

In diesem Zusammenhang trägt die Kl. zu Recht vor, daß sich die "Playmobil"-Figur seit ca. 20 Jahren einer andauernd hohen Beliebtheit erfreut. Sie hat Anerkennung in den Fachkreisen gefunden, manigfache Auszeichnungen erhalten und auch Eingang in Ausstellungen und Museen gefunden. Ihre Verwendungs- und Einsatzmöglichkeit ist äußerst vielfältig....

 

Wird vom Gericht fortgesetzt...

 

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